Unzählige Menschen in Deutschland werden jedes Jahr durch nahestehende Menschen enterbt. Die Gründe dafür sind vielfältig und von Fall zu Fall verschieden. Egal, warum eine Person enterbt wird, den Meisten steht bei einer Enterbung trotzdem ein sogenannter Pflichtteilsanspruch zu. Wer einen solchen Anspruch auf den Pflichtteil einfordern kann, welche rechtlichen Schritte Sie dabei beachten müssen und wie hoch der Pflichtteil ist, erfahren Sie in unserem Blog.
Was ist der Pflichtteil?
Der Pflichtteil wurde in Deutschland eingeführt, um die Rechte von Erben zu stärken, die durch testamentarische Verfügung enterbt worden sind. In mehr als 90% der Fälle haben enterbte Personen einen Pflichtteilsanspruch und haben dadurch das Recht auf einen bestimmten Teil des Nachlasses – selbst wenn der Erblasser im Testament eine ausdrückliche Enterbung festlegt.
Allerdings haben nur bestimmte Personen Anspruch auf den Pflichtteil. Um zu erfahren, ob Sie bei einer Enterbung dennoch einen Pflichtteil erhalten, lohnt sich ein Blick auf die gesetzliche Erbfolge sowie die verschiedenen Erbordnungen.
Die gesetzliche Erbfolge
Für eine Enterbung und die Berechnung des Pflichtteils ist die gesetzliche Erbfolge von zentraler Bedeutung – auch wenn der Erblasser zu Lebzeiten ein Testament aufgesetzt hat. Bevor wir also das Thema Pflichtteil genauer betrachten, schauen wir uns kurz die gesetzliche Erbfolge an.
Bei der gesetzlichen Erbfolge werden die Nachkommen in verschiedene Ordnungen unterteilt. Hier eine Übersicht:
1. Ordnung: Kinder, Enkel und weitere direkte Nachfahren der Kinder des Verstorbenen
2. Ordnung: Eltern, Geschwister und weitere Nachkommen der Eltern des Erblassers
3. Ordnung: Großeltern, Onkel, Tante und deren weitere Abkömmlinge
4. Ordnung: Urgroßeltern, Großonkel, Großtante und deren Abkömmlinge
Bei der gesetzlichen Erbfolge wird nur innerhalb einer Ordnung vererbt. Das Erbe wird dann zu gleichen Teilen zwischen den Erben der jeweiligen Ordnung aufgeteilt. Wichtig ist außerdem das Ehegattenerbrecht. Dieses legt fest, dass Ehepartner immer erbberechtigt sind. Die Höhe ist dabei von der Ordnung der anderen Erben abhängig.
Hinterlässt zum Beispiel ein Erblasser einen Ehepartner und zwei Kinder, stehen dem Ehepartner 1/3 des Nachlasses zu. Der Rest wird zu gleichen Teilen zwischen den Kindern aufgeteilt.
Eine detaillierte Übersicht der gesetzlichen Erbfolge finden Sie hier.

Wer hat einen Pflichtteilsanspruch?
Grundsätzlich haben nur Personen aus der ersten Ordnung Anspruch auf einen Pflichtteil. Zunächst sind die direkten Nachfahren des Erblassers als Pflichtteilsberechtigte an erster Stelle. Sollten diese bereits verstorben sein, geht der Anspruch auf die Enkel des Erblassers über.
Personen aus den anderen Ordnungen haben keinerlei Anspruch auf einen Pflichtteil. Wenn Sie also von Ihren Geschwistern im Testament nicht begünstigt werden, können Sie keinen Pflichtteil geltend machen. Sollte der Erblasser keine direkten Nachfahren hinterlassen haben, gelten die Eltern als Pflichtteilsberechtigt.
Wann erhalte ich einen Pflichtteilsanspruch?
Einen Pflichtteilsanspruch erhalten Sie immer, wenn Sie als Erbe der ersten Ordnung durch ein Testament direkt enterbt werden oder in dem Testament Ihrer Eltern nicht als Begünstigter bedacht werden.
Die Gründe für eine Enterbung sind häufig sehr unterschiedlich. In vielen Fällen liegt ein schwieriges Familienverhältnis vor, was die Einforderung des Pflichtteils nicht einfach macht, denn Streit und langwierige Auseinandersetzung mit der Erbengemeinschaft sind oft vorprogrammiert.
Wie Hoch ist der Pflichtteil?
Die Höhe des Pflichtteils, der Ihnen bei einer Enterbung zusteht, ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Als Faustregel gilt immer, dass der Pflichtteil der Hälfte des gesetzlichen Erbteils entspricht.
Wenn also der Erblasser bei seinem Tod keinen Ehepartner und drei Kinder hinterlässt, von denen eines enterbt wird, hat diese Person einen Anspruch auf 1/6 des Nachlasses.
Alle pflichtteilsberechtigten Personen haben Anspruch auf eine Ausgleichszahlung, nicht jedoch auf einzelne Gegenstände oder Immobilien aus dem Nachlass. Allerdings werden die Werte von Gegenständen und Immobilien auf den Nachlass angerechnet und erhöhen damit auch den Wert des Pflichtteils.
Von diesem Faktoren ist die Höhe des Pflichtteils abhängig
Um Ihre Pflichtteilsquote zu berechnen, müssen Sie verschiedene Faktoren beachten. Grundsätzlich sind vier Faktoren entscheidend für die Höhe des Pflichtteils:
1.) Gesamtwert des Nachlasses (dazu zählen Geld, Wertanlagen, Immobilien und Wertgegenstände)
2.) Zu Lebzeiten getätigte Schenkungen
2.) Anzahl der Kinder
3.) Güterstand der Ehe der Eltern
Um also die Höhe Ihres Pflichtteils zu berechnen, müssen Sie zunächst den Gesamtwert des Nachlasses ermitteln. Dabei sichert Ihnen das Erbrecht umfangreiche Möglichkeiten zur Verfügung.

Auskunft über den Gesamtwert des Erbes
Als Pflichtteilsberechtigter haben Sie das Recht, ein sogenanntes Nachlassverzeichnis einzufordern. Bei diesem Verzeichnis müssen die Erben das gesamte Vermögen des Erblassers zum Zeitpunkt des Todes auflisten. Dazu zählen auch vor dem Tod getätigte Schenkungen – diese können gegebenenfalls Ihren Pflichtteil erhöhen.
Sie haben außerdem das Recht, bei der Erstellung des Nachlassverzeichnisses anwesend zu sein – am besten mit einem Anwalt. So können Sie sicher gehen, dass das Verzeichnis rechtmäßig ausgefüllt wird.
Bei Ungereimtheiten – also wenn der Nachlass geringer als erwartet angesetzt wird – sollten Sie eine eidesstattliche Versicherung verlangen. Dabei handelt es sich um eine von den Erben gegebene Garantie, dass alle Angaben des Nachlassverzeichnisses der Wahrheit entsprechen und keine Vermögenswerte ausgelassen wurden.
Sollten die Erben bei dieser Versicherung fehlerhafte Angaben machen, kann dies strafrechtliche Konsequenzen haben.
Wertermittlung Immobilie
Wenn zu der Erbschaft Immobilien gehören, wird die Wertermittlung oft komplizierter. Im Erbrecht wird bei Immobilien immer der sogenannte Verkehrswert verwendet. Dabei handelt es sich um den Wert, den die Erben beim Verkauf der Immobilie erhalten würden. Einen ausführlichen Bericht zum Thema Erbschaft von Immobilien finden Sie hier.
Kommt es bei einer Vererbung von Immobilien zur Anwendung eines Pflichtteils, kann dies zu massiven Problemen unter den Erben führen – denn der Pflichtteil wird immer in Geld ausgezahlt. Im schlimmsten Fall kann das zu einem Verkauf der Immobilie führen. Um das zu vermeiden, sollten Sie unbedingt vorher das Gespräch mit Ihren Familienangehörigen suchen.

Sachverständiger
Wenn Sie als Enterbter den Gesamtwert des Nachlasses ermitteln wollen, sind oft Sachverständige notwendig. Gerade wenn es um die Berechnung des Wertes einer Immobilie geht, werden Sachverständige zurate gezogen.
Die Arbeit der Sachverständigen ist in der Regel sehr teuer, was zu einer Verringerung Ihres Pflichtteils führen kann. Die Kosten für die Sachverständigen müssen zwar von den Erben getragen werden, letztendlich werden diese aber vom Gesamtwert des Erbes abgezogen, sodass Ihr Pflichtteil kleiner ausfällt.
Gerade bei kleineren Nachlassen sollten Sie sich also überlegen, ob ein Sachverständiger wirklich notwendig ist. Unsere Anwälte beraten Sie gerne und fertigen gemeinsam mit Ihnen einen Plan an, um das Maximale aus Ihrem Pflichtteil herauszuholen.
Pflichtteilsergänzungsanspruch
Im Pflichtteilsrecht gibt es eine Sonderregel, welche die Höhe Ihres Pflichtteils erheblich erhöhen kann. Dabei handelt es sich um den sogenannten Pflichtteilsergänzungsanspruch, der bei Schenkungen zum Einsatz kommt.
Bei einer Schenkung handelt es sich um eine bereits zu Lebzeiten vollzogene Übertragung von Wertanlagen. Da diese dann nicht mehr als Teil der Erbschaft gelten, würde der Wert theoretisch vom Gesamtwert der Erbschaft abgezogen werden. Als Folge würde sich auch die Höhe Ihres Pflichtteils je nach Höhe der Schenkung deutlich verringern.
Allerdings haben Sie auch bei einer Schenkung Anrecht auf einen Pflichtteilsergänzungsanspruch. Eine „richtige“ Enterbung ist also auch nicht durch Schenkungen möglich. Wie hoch der Pflichtteilsergänzungsanspruch ist, hängt dabei vom Zeitpunkt der Schenkung ab.
Höhe des Pflichtteilsergänzungsanspruchs
Wenn Ihr Pflichteil durch eine vor dem Erbfall getätigte Schenkung geringer ausfällt, können Sie Ihren Pflichtteilsergänzungsanspruch geltend machen. Je näher die Schenkung zeitlich vom Erbfall stattgefunden hat, desto höher ist auch der Anteil der Schenkung, der Ihr Pflichtteil hinzugerechnet wird. Wir haben für Sie eine Übersicht erstellt:
Zeitpunkt der Schenkung | Angerechneter Anteil der Schenkung |
1 Jahr vor dem Erbfall | 100 % |
2 Jahre vor dem Erbfall | 90 % |
3 Jahre vor dem Erbfall | 80 % |
4 Jahre vor dem Erbfall | 70 % |
5 Jahre vor dem Erbfall | 60 % |
6 Jahre vor dem Erbfall | 50 % |
7 Jahre vor dem Erbfall | 40 % |
8 Jahre vor dem Erbfall | 30 % |
9 Jahre vor dem Erbfall | 20 % |
10 Jahre vor dem Erbfall | 10 % |
11 oder mehr Jahre vor dem Erbfall | Keine Anrechnung der Schenkung |
Die Quote des Pflichtteilsergänzunganspruches ist dabei Deckungsgleich mit der Quote des gesetzlichen Pflichtteils.
Beispiel Pflichtteilsergänzungsanspruch
Ein Erblasser hinterlässt keinen Ehegatten und zwei Kinder, wovon eines per Testament enterbt wird. 3 Jahre vor Zeitpunkt des Todes hat der Erblasser dem Erben 200.000 Euro per Schenkung übertragen. Der Gesamtwert des Nachlasses beträgt 300.000 Euro.
Ohne Enterbung würde der Nachlass zu gleichen Teilen unter den Kindern aufgeteilt werden, was 150.000 Euro pro Kind entsprechen würde. Das enterbte Kind hat einen Anspruch auf die Hälfte des gesetzlichen Erbteils, was 75.000 Euro beziehungsweise 1/6 des Erbes wären. Da aber drei Jahre zuvor die Schenkung getätigt wurde, kann hier der Pflichtteilsergänzungsanspruch geltend gemacht werden.
Da die Schenkung drei Jahre vor dem Erbfall getätigt worden ist, werden 80% der Schenkung angerechnet. Das wären 80.000 Euro, wovon jetzt wiederum 1/4 auf den Pflichtteil angerechnet wird. Insgesamt hat das enterbte Kind also einen Anspruch auf eine Geldzahlung in Höhe von 95.000 Euro.

So beeinflusst der Güterstand der Ehe die Höhe des Pflichtteilsanspruchs
Die Höhe des Pflichtteilsanspruchs eines enterbten Kindes hängt eng mit dem Güterstand der Ehe der Eltern zusammen. Je nachdem, wie der Güterstand der Ehe organisiert ist, haben die überlebenden Ehepartner einen unterschiedlich hohen Anspruch auf einen Teil des Nachlasses. Ist dieser geringer, erhöht sich im Umkehrschluss der Pflichtteil der Kinder.
Pflichtteil für Kinder bei einer Zugewinngemeinschaft
Die häufigste Form des Güterstands in Deutschland ist die Zugewinngemeinschaft. Diese gilt immer dann, wenn Eheleute keinen Ehevertrag aufsetzen. Die Zugewinngemeinschaft regelt, dass im Falle einer Erbschaft 50% des Vermögens an den überlebenden Ehepartner gehen. Der Rest wird unter den Kindern zu gleichen Teilen aufgeteilt.
Pflichtteil für Kinder bei einer Gütergemeinschaft
Bei einer mit einem Ehevertrag geschlossenen Ehe liegt häufig eine sogenannte Gütergemeinschaft vor. Das bedeutet, dass das gesamte Vermögen den Eheleuten beiden zu gleichen Anteilen gehört. Allerdings hat der überlebende Ehepartner im Falle einer Erbschaft nur Anspruch auf 1/4 des gesamten Nachlasses. Wirtschaftlich gesehen erhält der Ehepartner also 1/4 der Hälfte des Gesamtvermögens, also 1/8 des Gesamtvermögens. Dadurch erhört sich auch der Pflichtteil, den enterbte Kinder gegebenenfalls erhalten.
Aber hier muss beachtet werden, dass der Ehepartner ja bereits vor dem Todesfall 1/2 des Gesamtvermögens besitzt. Im Falle einer Erbschaft besitzt der Ehepartner also aus wirtschaftlicher Perspektive 5/8 des gesamten Familienvermögens.
Pflichtteil für Kinder bei einer Gütertrennung
Wenn die Eheleute per Ehevertrag eine Gütertrennung vereinbart haben, orientiert sich die Höhe des Pflichtteils an der Anzahl der Kinder. Grundsätzlich gilt, dass der überlebende Ehepartner nicht weniger als die Kinder erben soll.
Stirbt der Ehepartner und hinterlässt drei Kinder, haben sowohl der überlebende Ehepartner als auch die Kinder einen gesetzlichen Anspruch auf jeweils 1/4 des gesamten Nachlasses. Der Pflichtteil würde in diesem Fall also 1/8 entsprechen.
Pflichtteilsanspruch und das Berliner Testament
Das Berliner Testament stellt eine Sonderform im Erbrecht dar, die aber dennoch in Deutschland äußerst beliebt ist und immer wieder Anwendung findet. Bei einem Berliner Testament werden die jeweiligen Ehepartner als Alleinerben bestimmt. Im Umkehrschluss bedeutet das eine Enterbung der Kinder und anderer Angehöriger.
Grundsätzlich ist die Enterbung der Kinder durch das Berliner Testament kein Problem, schließlich erben die Kinder ordnungsgemäß, nach dem auch der überlebende Ehegatte verstorben ist. In selteneren Fällen kann die Regelung im Berliner Testament zu Schwierigkeiten führen, besonders dann, wenn Kinder ihren Pflichtteilsanspruch geltend machen, auch wenn einer der Ehepartner noch am Leben ist. Besteht der Nachlass zum Beispiel aus einer Immobilie, kann ein solcher Anspruch zu Liquiditätsproblemen führen. Im schlimmsten Fall muss das Haus sogar verkauft werden.
Um ein solches Szenario zu verhindern, sollten Sie vorher mit Ihren Kindern das Gespräch suchen. So können Sie noch zu Lebzeiten gegen eine vorher festgelegte Abfindungssumme einen Pflichtteilsverzicht verhandeln.

Erbschaftssteuer Pflichtteil
Wer trotz Enterbung einen Pflichtteil des Nachlasses erhält, muss auch auf diesen wie bei einer normalen Erbschaft Steuern zahlen. Das Erbrecht macht hier also keine Unterscheidung.
Auch die Freibeträge sind bei der Versteuerung des Pflichtteils die Gleichen. Da nur Kinder des Erblassers oder Enkelkinder, deren Eltern bereits verstorben sind, einen Anspruch auf den Pflichtteil haben, beträgt der Freibetrag einheitlich 400.000 Euro.
Nur wenn Ihr Pflichtteil also mehr als 400.000 Euro beträgt, müssen Sie auf die Zahlung Steuern zahlen. Die genaue Höhe der Steuer ist dabei von der Höhe des Pflichtteils abhängig. Eine detaillierte Darstellung des Themas Erbschaftssteuer finden Sie auf unserer Webseite (link).
Durchsetzung des Pflichtteils mit den Erbrechtsexperten von Recht auf Pflichtteil
Die Durchsetzung des Pflichtteils ist oft ein langwieriger und juristisch komplexer Prozess – besonders wenn bereits zum Erbfall Streitigkeiten innerhalb der Familien existieren. Die Einsicht in den Nachlass wird verweigert, Vermögenswerte und Schenkungen verschwiegen oder eine Auszahlung komplett abgelehnt.
Doch auch als Enterbter haben Sie das Recht auf Ihren Pflichtteil! Das deutsche Erbrecht hat hier strenge Vorgaben. Diese müssen aber oft vor Gericht durchgesetzt werden.
Unsere Partnerkanzleien sind auf das deutsche Erbrecht spezialisiert und Experten für die Durchsetzung des Pflichtteils. Gemeinsam helfen wir Ihnen, das maximale aus Ihrem Pflichtteil herauszuholen. Vereinbaren Sie noch heute einen Beratungstermin!